Kontakt
Stefan Pigur

Fon: 0331-58 11 436

info@walterjacob-wvz.de

Lebensdaten Walter Jacob

  • 21.10.1893 in Altenburg/Thüringen geboren, Vater war Hofdekorationsmaler
  • 1910 Beginn der künstlerischen Laufbahn als Privatschüler von Ernst Müller-Gräfe
  • 1912 Erste Kollektiv-Ausstellung bei Beyer & Sohn, Leipzig; Verkauf einer Zeichnung an Prof. Max Klinger
  • 1914 – 1918 als Freiwilliger (Infanterist ) im Feld
  • 1916 – 1921 Meisterschüler bei Robert Sterl an der Akademie der Künste (Dresden) Freundschaft mit Oskar Kokoschka und Otto Dix. Mit Kokoschka korrespondierte er bis kurz vor seinem Tod.
  • 1920 Aufenthalt im Kloster Eberbach, vermittelt und gefördert durch den
    Sammler und Mäzen Heinrich Kirchhoff aus Wiesbaden
  • Ab 1921 Studienfahrten und Aufenthalte in Hallig Hooge, in Oberbayern, der Lausitz, Schweiz, Österreich und Jugoslawien.
  • 1925 Berlin anlässlich seiner Kollektiv-Ausstellung. Dort persönliches Bekanntwerden (auf dessen Wunsch) mit Lovis Corinth, Erich Heckel sowie Emil Nolde, der W.J. persönlich hilft, Berlin wieder verlassen zu können, da es ihn wieder zum Schafen in der Einsamkeit auf dem Lande treibt.
  • Ab 1929 Aufenthalt in München und der Dachauer Umgebung.
  • Ab 1942 Leben in Spitz a. D./Wachau (Österreich).
  • 1945 Noch einmal an der Front (Volkssturm) im Osten.
  • Ab April 1945 Nach Ausweisung aus Österreich wohnhaft in Hindelang/Allgäu; wieder aufblühendes künstlerisches Schaffen.
  • 1956 große Einzelaustellung mit ca. 200 aktuellen Werken in der Galerie André Maurice in Paris.
  • 13.7.1964 gestorben


Zum Werk Walter Jacobs

Text: Jutta Penndorf
Walter Jacob 1893 – 1964. Eine Retrospektive. Lindenau-Museum Altenburg, 1993

Walter Jacob↓ 1911 – 1918
↓ 1919 – 1920
↓ 1920
↓ 1921 – 1928
↓ 1929 – 1945
↓ 1945 – 1964




Die Anfänge 1911 – 1918

Im Sommer 1908 erhält der ehrenamtliche Geschäftsführer des Altenburger Kunstvereins einen Brief von jungen Dresdner Malern: Sie seien bereit, in der kleinen thüringisch-sächsischen Residenzstadt auszustellen. Als Referenz legen sie eine Kritik der «Dresdner Neuesten Nachrichten» bei; ihr Autor, Dr. Paul Fechter, erkennt der Vereinigung «Brücke» eine bahnbrechende Führung in der modernen deutschen Kunst zu. Unbesehen fordert man die Kollektion an. « ‹Tableau!›, und wäre es mit drei Ausrufzeichen versehen, kann nicht annähernd den Schrecken, das Entsetzen, das Gefühl katastrophalen Hereingefallenseins ausdrücken, das sich auf den Gesichtern der Kunstvereinsvorstände malte, als die Dresdener Bilderkisten ausgepackt wurden.» Diese bezeichnende Episode im Kunstleben seiner Heimatstadt, in der auch Walter Jacob 1893 geboren. wird, beschreibt der aus Altenburg stammende Kunsthistoriker Eduard Plietzsch. Trotzdem werden die Bilder im Lindenau-Museum ausgestellt, wo der Kunstverein inmitten der Abgußsammlung einige Wände zur Verfügung hat. «Nach drei Tagen war auf höhere Weisung Schluß der Ausstellung.»

Die früheste erhaltene Zeichnung Walter Jacobs entsteht in eben jenem Jahr. Zaghaft sucht der Fünfzehnjährige nach Porträtähnlichkeit mit dem Modell. Wir haben keinen Hinweis, daß er die «Brücke»-Ausstellung gesehen hat - schriftliche Selbstzeugnisse gibt es erst aus dem Jahre 1910. Zu diesem Zeitpunkt allerdings weiß Jacob sicher, daß er Maler werden will. Er bricht die Ausbildung ab und ist bestrebt, Ernst Müller- Gräfe, eine Altenburger Lokalgröße, Meisterschüler von Gotthardt Kuehl an der Dresdner Akademie, als Lehrer zu gewinnen.

1911 setzt der Briefwechsel mit dem späteren Altenburger Archivar Walter Grünert (1889-1980) ein, durch den wir Kenntnis von den Lebensumständen, den Werken und ihrem Hintergrund aus der Frühzeit und auch aus späteren Schaffensperioden des Künstlers haben. Jacob berichtet über Vorträge und Ausstellungsbesuche, über Eindrücke von ihn besonders bewegenden Bildern in Museen und Galerien. Ein bescheidener Auftrag macht es ihm möglich, im August in Münsa zu malen, einem Dorf an der Pleiße unweit von Altenburg, wohin sich auch andere Künstler der Region zurückziehen. In einem Brief an Müller-Gräfe vom Oktober 1911 macht er sich über den gerade gebildeten Altenburger Künstlerstammtisch lustig: «Herr Pech + Geitel, ein Holzschnitzer + Lehrer Voigt, Herr Kunstmaler (sein neuester Titel) Dikreiter, ein Fabrikarbeiter + Bildhauer Geßner, ein Kunst + Decorat.-Maler Sachse, + gezwungener Weise zuletzt noch meine Wenigkeit. Was, mein lieber Freund, die Herrn Altenburger Künstler haben's schon zu hohen Titeln gebracht. Jeder Esel, der hier halbwegs ein bischen den Bleistift führen kann ist Künstler! … Nun wollen die Herrn Künstler mich zum Kunstgewerbe überführen, was mir ja garnicht liegt, ich muß mich der hohen Kunst geben, mein innerer Drang will es!… Ich will froh sein, wenn ich aus Altenburg raus bin.»

Von den Bildern aus dieser Zeit haben sich «PIeißenbrücke in Münsa» und «Mädchen am Mühlgraben» erhalten. Sie belegen sowohl die starke Begabung des angehenden Künstlers als auch seinen Formwillen. Die pastos gemalte Landschaft in kühlen Tönen steht neben dem buntfarbigen, flächig-dekorativen Mädchenbildnis.

Zu den engsten Freunden Jacobs neben Walter Grünert, der Rezensionen über Theateraufführungen und Ausstellungen schreibt, gehört der zukünftige Komponist Johannes Engelmann (1890-1945). Für Jacob entspricht diese Beziehung seiner Sehnsucht nach Gleichgesinnten. Aus Dresden schreibt er an Grünert: «Ich bin ein Malkünstler! Sei ein Wortkünstler! Engelmann ein Tonkünstler oder ein Dicht-Künstler!»

Das Jahr 1912 scheint seine eigenständige künstlerische Entwicklung vorzubereiten. Mehrere Dresden-Aufenthalte, vermittelt vermutlich durch Müller-Gräfe, der dort bis 1912 in einem Akademie-Atelier arbeitet, zeugen von seinen verzweifelten Bemühungen, die Provinz zu verlassen und nur für die Kunst zu leben. Schon jetzt versucht er, in der Kunsthandlung Arnold etwas zu verkaufen. Schwärmerisch schreibt er von Trübner, Greiner, Feuerbach, Klinger, Leibl und hofft, selbst eines Tages zu diesen Großen zu gehören; gleichzeitig bittet er Grünert, ihm die Werke von Cézanne und van Gogh auf der Leipziger Jahresausstellung zu beschreiben. Die für so viele junge Künstler wichtige Kölner Sonderbundausstellung hat er nicht gesehen, wohl aber registriert er nach der Lektüre eines Aufsatzes darüber: «Außer van Gogh + Cézanne bildete Picasso den dritten.» Er liest Peter Hille, sieht im Altenburger Theater Hauptmanns «Gabriel Schillings Flucht», vergleicht sich mit der Titelfi gur und zieht das Fazit: «Jetzt will ich mich gesund, stark machen, jetzt muß es anders, besser werden.» Sein, wie ein Vergleich mit der Vorzeichnung zeigt, stark beschnittenes, impressionistisch aufgelöstes und dennoch Räumlichkeit anstrebendes Doppelbildnis „Grünert und ich“ aus diesem Jahr steht wahrscheinlich unter dem Einfluß Gotthardt Kuehls, in dessen Dresdner Meisteratelier Jacob einige Wochen zubringt, um die «notwendigsten technischen Kenntnisse» zu erwerben. «Im Lichte malen lernen» sollen die Schüler Kuehls; die hellen, klaren Farben des Bildes entsprechen dieser Lehre. In Altenburg interessiere sich niemand für seine Kunst, klagt Jacob 1913 in einem Brief an Müller-Gräfe: «Grünert ist der einzige, der ein eminentes Verständnis für Kunst hat + selbst vielen Produktionen im Wissen, in der Vernunft, vorauseilt …» Und: «Im Zeichnen werde ich mich scharf aufs Korn nehmen. Will nun weiterarbeiten in Ehrlichkeit, Wahrheit vor der ewig großen unerschöpfl ichen Natur.» Grünert empfiehlt ihm Bücher wie Herbert Eulenbergs «Die Kunst in unserer Zeit. Eine Trauerrede an die deutsche Nation» und vor allem Julius Meier-Graefes «Vincent van Gogh» und «Die Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst». Jacob bestellt sich noch das Delacroix-Tagebuch.

Er ist bemüht um Reinheit der Farben, mischt nicht mehr auf der Palette, sondern hellt die Farben nur mit Weiß auf und setzt sie direkt auf den Malgrund. Es dominieren Landschaften, «denn nur an der ewig großen Natur der Stummen kann meine Arbeit sich entwickeln + mein Menschliches auch reifen, denn das Individuum muß sich selbst an der Natur erziehen, eine Menschenhand kann sich leicht vergreifen + eher oft Schaden als Nutzen bringen», schreibt er 1914 an Grünert.

Erhaltene Bilder aus dem Jahre 1913 wie «Düngerstreuen», «Schloßgarten» und «Selbstbildnis» zeichnen sich durch großzügige Komposition und kraftvollen Pinselstrich aus. Noch ringt er um die Bewältigung der Lokalfarbigkeit, am meisten in dem trotzig-dandyhaften Selbstporträt im weißen Hemd mit Schleife, aber die pastose Malerei schließt die Flächen zusammen. Diese Werke bilden den Höhepunkt in seiner frühen Schaffensperiode und zugleich einen Übergang von der durch Müller-Gräfe vermittelten impressionistischen Malweise und Jacobs Beschäftigung mit van Gogh zu den erst sechs Jahre später gemalten expressionistischen Bildern - eine Entwicklung, die durch die Kriegsjahre unterbrochen wird.

Walter Jacob als Soldat im ersten Weltkrieg
Im August 1914 meldet sich Jacob als Kriegsfreiwilliger. Nach einer Verwundung beantragt er ein Stipendium der Lindenau-Zachschen-Stiftung, das ihm für ein Studium an der Königlichen Kunstakademie in Dresden gewährt wird. Im Herbst 1916 wird er jedoch wieder einberufen. Zweimal bittet er um Vorschüsse aus der bereits zugesagten Unterstützung, um Farben und Papier kaufen zu können. Neben genrehaften Illustrationen von Kriegsberichterstattungen haben sich hauptsächlich Zeichnungen aus Lazaretten erhalten, sachliche Milieuschilderungen.

Aus den Anträgen auf Stipendien und den Gutachten von Robert Sterl, in dessen Malsaal Jacob inzwischen gemeldet war, wissen wir, daß er 1916 geheiratet hat. Seine Haltung zum Krieg ändert sich im Gegensatz zu vielen seiner Altersgefährten während der vier Jahre nicht; es gibt weder künstlerische noch verbale Äußerungen, die darauf schließen lassen könnten.

↑ zur Übersicht

«Unruhen der Großstadt» Dresden.
1919-1920

Mitte Dezember 1918 meldet Jacob sich erneut in der Dresdner Kunstakademie. In einem langen Brief an Walter Grünert entwickelt er bereits im Oktober, noch «im Felde», wie er sich seine künstlerische Arbeit nach dem Kriege vorstellt: «Es wäre töricht + dumm, wenn ich von Expressionismus oder dergl. Kram sprechen wollte…Was scheren mich alle Richtungen, alle Bestrebungen, alle weitumreißenwollenden Spektakel? Ganz in Einsamkeit + Ruhe arbeiten: zäh + unbefangen arbeiten, nur das kann zu etwas führen!!»

Von Anfang Oktober 1918 bis Mitte Februar 1919 fi nden sich keine Äußerungen von ihm oder über ihn. Über seine Haltung zur Novemberrevolution ist nichts bekannt, doch teilt sich ihm die O-Mensch-Pathosformel seiner Generation, das Emphatische der künstlerischen Ausdrucksweise mit und beeinfl ußt auch seine Sprache. Die Spannung der Zeit, das Aufgewühltsein ist in seinen Bildern: «Farbe, Farbe, Farbe, Kraft, Einfachheit, das ist alles!!» als gelange nun zum Ausbruch, was sich während der Kriegsjahre in ihm angestaut hatte. Er beschreibt Grünert zwei Bilder, zu denen viele Vorarbeiten entstanden seien (Zeichnungen, Holzschnitte, Aquarelle, Pastelle): Das erhaltene expressive Selbstbildnis, in dem das neue Künstlerbewußtsein noch ähnlich aufgesetzt wirkt wie die rote Aufschrift «Selbst» und die unsichere Einbeziehung kubistischer Bildelemente, und eine Landschaft «Die rote Kirche», die «noch einfacher, glühender + kraftvoller» sei. «Der Himmel. Ist tiefstes Ultramarinblau, grün, rosa=violett! die Häusergiebel sowie der Kirchturm rot=orange! Der Weg unten, horizontallaufendes Blau! dieser liegende geschälte Baumstamm - ich denke, daß es einer ist! citronengelb!!» Auch die «Eisenbahnkurve » wird in diesen Monaten entstanden sein, der schwungvolle Duktus spricht dafür ebenso wie die reinen und tiefen blauen, grünen und roten Farben.

Im März erhält Jacob als Meisterschüler ein Einzelatelier in den ehemaligen Technischen Lehranstalten am Antonsplatz. Seine Ateliernachbarn sind die Sterl-Schüler Otto Griebel und Otto Meister sowie die Gußmann-Schüler Peter August Böckstiegel, Otto Dix und Bernhard Kretzschmar.

Wir kennen keine weiteren Bilder aus der ersten Jahreshälfte. Titel wie «Unruhen der Großstadt» (auch «Menschen der Großstadt» genannt), «Hurentod», «Ateliervision», die er in einem Brief an Grünert im Juli 1919 aufführt, belegen aber, daß er zu Recht mit den Künstlern der «Dresdner Sezession. Gruppe 1919» in Verbindung gebracht wird. Jacobs Äußerung «es schwebt mir eine reine, absolute, von allem Stoffl ichen und Formalen losgelöste Malerei vor … In unserer Zeit kann das Letzte, Höchste nur aus der letzten anarchistischen Steigerung freier Triebkräfte + Ursprung fi nden …», ist kaum denkbar ohne Conrad Felixmüllers «Postulat», 1918. Dennoch schließt sich Jacob keiner künstlerischen oder politischen Gruppierung an. Er bleibt ein Einzelgänger. In dem zitierten Brief erwähnt er auch das Bild «Windmüller» - ein Motiv, von dem sich ein Holzschnitt erhalten hat. Dessen farbige Variante publiziert I. B. Neumann im Mai 1920 zusammen mit der Lithografi e «Mädchen mit Zöpfen» in seinen «Bilderheften» neben Arbeiten von Beckmann, Gangolf, Heckel, Janthur, Kirchner, Kokoschka, Meidner, Pechstein, Rohlfs - eine illustre Gesellschaft, die davon zeugt, welche Hoffnungen in Jacob gesetzt werden. Neumann kündigt an, daß demnächst neue Lithografi en des Künstlers bei ihm erscheinen.

Im Herbst 1919 erhält Oskar Kokoschka eine Professur an der Akademie. Bei seiner Berufung wirkt der Revolutionäre Studentenrat mit, zu dessen Mitgliedern Edmund Kesting und Eric Johansson gehören, letzterer wie Jacob ein Sterl-Schüler. «Als Lehrer sammelt Kokoschka nur wenige Schüler um sich, seine Lehre ist das persönliche menschliche Beispiel, ist das sinnliche Erlebnis an Mensch und Natur» (Diether Schmidt). In dieser Hinsicht wird seine Kunst in Dresden besonders bei Walter Jacob auf fruchtbaren Boden fallen.

Walter Grünert, 1920
Zunächst aber teilt Jacob dem Freund Grünert mit, daß die «Dresdner Sezession. Gruppe 1919» ihn für November/ Dezember zu einer Sonderausstellung eingeladen habe und er ein Plakat entwerfe. Die Ausstellung in der Galerie Richter bestreite er mit Eugen Hoffmann, der «große farbige Plastiken + Holzplastiken» zeige. Jacob stellt acht Malereien aus, darunter drei in der Größe 200:150 cm, in anderen Räumen Aquarelle, «Schnitte» und Zeichnungen. Ende Dezember berichtet er, daß sein letztes großes Bild, «Die Tänzerin», nun für das Stadtmuseum angekauft sei, und kündigt eine Mappe an. Einschließlich des Titelblattes handelt es sich um zwölf großformatige, auf dem Stein 1919 datierte Lithografi en, die 1920 bei Rudolf Kaemmerer verlegt werden. Im Vorwort schreibt Paul Ferdinand Schmidt: «… Hieroglyphe, wie zu allen Zeiten innerlich glühenden, transzendentalen Wollens, wird die graphische Form Walter Jacobs. Seine Köpfe: ungefüge und mächtige Umschreibungen der Persönlichkeit; Komposition ist Niederschlag geistigen Kampfes mit der Materie, Sieg des neuen ethischen Gefühls, das alliebend die Menschheit umfaßt und die Welt mit ihr zur Einheit schmiedet. Der Künstler trägt das Leid der Welt: so klagen seine stürmischen Gestaltungen. Er leidet unter dem dunklen Drucke der Materie, der Vereinzelung des Menschen, dem geheimen Schmerz aller Seelen.» Die Blätter unterwerfen sich nicht einem einheitlichen Konzept; expressive, verdichtete Porträts (ein Doppelbildnis von Paul Ferdinand Schmidt und seiner Frau, ein Einzelporträt der Frau Schmidt sowie die Gesichter beider, eingebunden in eine dramatisch bewegte Szenerie) stehen neben einem weiblichen Porträt als Halbakt und einem liegenden Akt, einem eigenartig hypnotisierend wirkenden, streng auf die Mittelachse des Blattes ausgerichteten Kopf vor einer Fassade und sechs Darstellungen, die überraschen in der Verbindung expressionistischer, kubistischer und naiv-romantischer Elemente.

Von der «Tänzerin» existiert im Nachlaß Grünert des AItenburger Archivs ein Foto: eine diagonal ins Bild gestellte Figur, facettenartig umgeben von Profi lköpfen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß die ganze Gestalt aus diesen Köpfen gebaut ist; das Verschachteln von Flächen ergibt räumliche Tiefe, und im Hintergrund scheint; wie auf fast allen Lithografi en, ein Mond oder eine Sonne. Durch dieses Foto und die Grafi kmappe erschließen sich die bemalten Rückseiten mancher Bilder aus dem Jahre 1920. Die in intensiven Rot-, Blau- und Gelbtönen gemalten, stark abstrahierten Darstellungen wirken mit ihrem Schweben, ihrem lyrischen Kubismus zunächst fremd im Werk Jacobs. Die einzige vollständig erhaltene, eine Stadtlandschaft mit Kirchturm und eilenden Menschen im Regen, leuchtet in den Farben der Rheinischen Expressionisten und erinnert (wie auch der Holzschnitt «Windmüller») an die Bilder und Grafiken Heinrich Campendonks. Es sind offensichtlich jene in der zweiten Hälfte des Jahres 1919 gemalten Bilder, die in der Galerie Richter ausgestellt waren, bei den Fragmenten könnte es sich um herausgeschnittene Teile der angeführten Großformate handeln. Auch einige Passagen aus Artikeln von Zeitgenossen werden nun verständlich. So verwendete Paul Ferdinand Schmidt das Wort abstrakt, wenn auch übertragen, in seiner Rezension der Ausstellung von Eugen Hoffmann und Walter Jacob: «Ein höchst ungebärdiges Talent, das alle überkommenen Rahmen, auch die des Expressionismus, zu sprengen gedenkt: zurückgedrängt in 4 1/2 Jahren schwerer Kriegsfron, überstürmt sein Temperament nun in rasender Folge die Entwicklung der letzten Jahrzehnte seit dem Expressionismus, türmt Farbengebäude auf einer Basis von Primitivität und ersättigt sich an keinem Format, keiner Technik, keiner Ausdrucksform. Sein Schöpferisches läßt sich am ehesten mit Marc Chagall in Parallele setzen; diese Verbindung abstrakter Formen von Raumdurchdringung, unbändiger Farbigkeit und Vorliebe für den einfachsten Umriß mit zartester und wildester Phantastik der Erfindung erscheint bei dem Russen in großem und geklärtem Maßstab.» In der Tat verschmelzen in Jacobs Werk dieser Zeit verschiedenste Einfl üsse der europäischen Moderne wie der Dresdner Zeitgenossen: die mit Brachialgewalt gemalten Orgien des Ateliernachbarn Dix, die lyrischmelancholischen kubistischen Bilder Lasar Segalls und Will Heckrotts, die psychologisierende Porträtkunst und das Pathos Conrad Felixmüllers. Und schon jetzt ist er fasziniert von der Farbenglut Emil Noldes. Hildebrand Gurlitt umreißt 1925 in einem Artikel für den Cicerone die Frühzeit des Künstlers wie folgt: «Der Maler Walter Jacob versucht es, ungestüme Kraft, die Glut seines Blutes ohne Abschwächung in eine klare Form zu zwingen…. Seine frühen Arbeiten sind oft brutal, oft ein rauschhaftes Austoben in einem Wirbel von Farbe, manchmal auch erste Versuche einer Komposition, aber noch nirgends etwas Geschlossenes. Disziplin, Erfahrung, Mäßigung fehlt, aber überall ist drängender Wille und eine Fülle von Einfällen. Er malte Bekenntnisse einer hingegebenen Begeisterung an die Leidenschaft an sich. Doch bleibt Walter Jacob hier nicht stehen. Sein nahes Verhältnis, seine Liebe zur Natur trennt ihn von andern Künstlern unserer Zeit. Er flieht nach diesen ersten wilden, abstrakten Versuchen aus der überhitzten Atmosphäre der Großstadtateliers von 1918/19 aufs Land.»

Selbst, 1920„Selbst“
Kaltnadelradierung auf Kupferdruckkarton. 1920. 226 x 141 (392 x 286) mm. Monogrammiert, datiert u. betitelt.
Das Jahr 1920 bedeutet im Werk von Walter Jacob einen gravierenden Einschnitt. Mit seinen Bildern, Zeichnungen und Grafi ken leistet der Künstler einen bislang zu wenig beachteten, ganz eigenständigen Beitrag zum Expressionismus. Es scheint, als hätte er die Stoffe dieser stürmischen Epoche in sich aufgesogen: Krieg, Stadt, Mord, Passion Christi, Liebesdramen. Daneben entstehen ausdrucksstarke Bildnisse und Landschaften. In den Briefen an Grünert zählt er die gerade fertiggestellten Werke auf, beschreibt, wie er an «Kirche und Bordell» sechs Monate lang gearbeitet, es 30mal abgekratzt habe. Ein Titel lautet «Hinrichtungen», vielleicht ist das Gemälde identisch mit dem “Jüngsten Gericht“ der Rifkind Foundation, Los Angeles. Gewiß stand Dix Pate für die Figur mit der abgehackten Hand im Vordergrund. Es ist ein Fließbandmorden in dem Bild. Dix hatte gerade seinen «Lustmörder » gemalt. Auch Jacob malt einen «Mord» und zeichnet Buchumschläge zu Carl Hauptmanns «Der Mörder» und Klabunds «Der Neger». Themen, die die Perversion einer durch Krieg und Revolution zerrütteten Gesellschaft in drastischer Weise angreifen. Welche Rolle dabei Oskar Kokoschka für Jacob spielt, wird deutlich in den Illustrationen zu Alfred Wolfensteins «Der gute Kampf». Noch klarer ist dies ablesbar in der nur zufällig auf der Rückseite eines in Eberbach entstandenen Holzschnittes erhaltenen Lithografi e mit dem vorläufi - gen Titel «Die Engel» - vielleicht handelt es sich hier um eine Darstellung des Jüngsten Gerichtes.

Jacob ist stärker in die Dresdner Kunstszene eingebunden, als es aus seinen Briefen an Grünert zu vermuten ist, in denen er sich immer wieder von ihr distanziert. Ein Foto vom Künstlerfasching 1920 zeigt ihn mitten im Geschehen, hinter ihm Conrad Felixmüller. Auf einer anderen Aufnahme ist Jacob mit seiner Freundin, der Sängerin Ira Spies, Oskar Kokoschka, der Bildhauerin Gela Forster und dem Architekten und Verleger Hugo Zehder, einem der Gründer der «Dresdner Sezession. Gruppe 1919», zu sehen. Das im Vordergrund aufgebaute Stilleben erinnert an die Zeit der Dada-Soireen in Dresden. Jacob wird künstlerisch davon nicht beeinfl ußt, aber seine Grünert- Anreden («Oberdadapräsident, Journalist und Veilchenhändler »; «mein lieber Grün-erd») verraten, daß das skandalumwitterte Treiben der Dadaisten, zu deren Dresdner Protagonisten seine Ateliernachbarn Dix und Griebel gehören, nicht spurlos an ihm vorübergeht. Zumindest die sarkastische Verhöhnung kleinbürgerlicher Doppelmoral muß ihm nahe gewesen sein.

Er selbst unterschreibt seine Briefe mit Jascha, Jaschka oder Jaschenka und trägt Russenhemden. Das ist nichts Ungewöhnliches, sie sind in Mode. Bei Jacob wird man schwerlich politische Gründe dafür finden.

Am 13.8. schreibt Jacob an Grünert: «Ich schufte wahnsinnig. Alle alten Arbeiten habe ich wieder von den Wänden + arbeite weiter daran: das ist das, was unsere Modernen nicht machen, aber ich mache, weil es mich lebendig macht: das ist Jugend! Ganz bestimmt. Immer mehr tauche ich in das Ewigblau mit blutroten Flügeln + ich suche euch alle!!!» Und er zählt wieder seine letzten Bilder auf. Von einigen existieren wenigstens Fotos, darunter: «Bauern», «Singendes Kind», «Ballon»; letzteren hebt Paul Ferdinand Schmidt in einer Ausstellungsbesprechung der «Gruppe 1919» hervor: «… Den jüngst mit Geräusch erfolgten Austritt von Felix Müller, Otto Schubert und Böckstiegel aus der Gruppe hatte Walter Jakobs unbändig temperamentvoller ‹Luftballon›, ein Rausch von stärkster Farbe, und mehrere ähnlich begabte junge Bildhauer mehr als wettgemacht, die als neue Mitglieder oder Gäste der Plastik in der Ausstellung eine ungemein starke Note verliehen …»

In dem einzigen erhaltenen Bild aus dieser Werkgruppe, «Herr und Knecht», ist die geschilderte Farbintensität, vorgetragen in expressivem Duktus, nachvollziehbar. Die Farbigkeit eines anderen Bildes, «Vier Gesichte», kennen wir nur aus Jacobs Beschreibung für den Freund: «… den berühmten 3 Heiligenschmetterling: nämlich Ira, Kokoschka + ich haben je einen: Ira einen tiefblauen, Koko einen tief violetten + ich habe einen: blau, grün, gelb, weiß + viol., er hat keine Grundfarbe, er schillert ja nach dem Lichte immer wieder anders!-“ Unklar bleibt bislang, ob das Selbstbildnis als «Prometheus» (Otto Dix nannte ein Jahr früher ebenfalls ein Selbstbildnis so) aus dem Lindenau-Museum in diese Gruppe gehört - es ist malerischer, toniger, auch tragischer. Mit Sicherheit kann jetzt jedoch konstatiert werden, daß es Jacob nicht um Programme und Inhalte geht, auch wenn er Ikonographisches übernimmt, wie die «Larve» in «Vier Gesichte», in der Noldes Masken anklingen oder Felixmüllers «Bedrücktsein im Atelier» in einem vernichteten «Selbstbildnis im Atelier», zu dem jetzt eine Vorzeichnung aufgetaucht ist.

Jacob hatte noch zwei Mappen mit Lithografi en angekündigt: «Schauspielerköpfe» (die bedeutendsten Schauspieler Dresdens) und «Mein Leben». Einige der Schauspieler und Theaterleute kennen wir: Erich Ponto und den Dichter Berthold Viertel, der am Schauspielhaus expressionistische Dramen inszenierte. Es sind charaktervolle Porträtstudien, geschult an der Kunst Oskar Kokoschkas. In den besten vermag er, den großen Zeitentwurf einzufangen. So auch in den Bildnissen der Kunsthändler Neumann und Gutbier (dem Inhaber der Galerie Arnold) und in einem Grünert-Porträt aus diesem Jahr. Jacobs sichere Zeichenkunst läßt ihn auch die Lithokreide souverän benutzen - dabei geht es ihm nicht um grafi sche Delikatesse, wie wenig später auch seine furiosen Holzschnitte zeigen werden. Der Mappe «Mein Leben» lassen sich keine Grafi ken zuordnen. Bei der Mappe, die 1937 unter den beschlagnahmten Werken des Stadtmuseums aufgeführt wird, handelt es sich wahrscheinlich um die «Schauspielerköpfe» (6 Lithografi en). Aus einem Brief von Ira Spies von 1921 geht hervor, daß die Blätter noch im Rudolf Kaemmerer Verlag lagen, der inzwischen in den Besitz von Hugo Zehder übergegangen war, es jedoch offensichtlich Probleme mit dem Herstellen der Mappen gab.

Im Juli unternimmt er eine Reise nach Berlin. Anfänglicher Begeisterung folgt die Ernüchterung: «Die Großstadt ist Tod + Sünde!!!!» Was er an Ausstellungen besucht habe, sei ein «Panoptikum der Degeneration». Er kann damit die Erste Internationale Dada-Messe meinen, auch den Beitrag der Novembergruppe auf der Großen Berliner Kunstausstellung. In der im Jahr zuvor eröffneten Neuen Abteilung der Nationalgalerie allerdings sieht er «fabelhafte Cézannes, van Goghs, Renoirs, Manets, Noldes (einige nur), Lehmbrucks, Thomas und eine Landschaft von Munch».

Die Geldnot begleitet ihn ständig, einige Jahre später wird ihm Nolde helfen, Berlin wieder zu verlassen. Grünert vermittelt Verkäufe. Er hat es nicht leicht mit Jacob, der aus Dresden verkündet: «Kunstleben im Sarge muß nur noch begraben werden», es gehe ihm «saudreckig», und Grünert gehöre «vor das Paradies der wahren großen Kunst als Torwächter: das ist Ihr Posten». Er verkauft an Sammler und Kunsthändler: die Galerie Arnold, das Stadtmuseum Dresden, Cassirer, I. B. Neumann, Däubler, Hettner, Kokoschka, Heckel, Ida Bienert und Dr. Stegemann, eine Nervenärztin, die «feine Sachen» von Nolde, Picasso, Klee, Schmidt-Rottluff, Lehmbruck habe und der das schöne Temperablatt von 1919 gewidmet ist, besäßen bereits Bilder, Grafi ken, Aquarelle und Handzeichnungen. Die wichtigsten Kritiker nennen ihn in einem Atemzug mit Berühmtheiten. Und doch reichen seine Einkünfte nicht zum Leben und für die Farben, die er in großen Mengen benötigt. Was vielleicht noch schwerer wiegt: Jacob erträgt das Stadtleben nicht. Er leidet unter einer regelrechten Großstadtphobie, die ihn ein Jahrzehnt später fast seine Kunst kosten wird. Im September wendet er sich in einem Brief an den Wiesbadener Kunstsammler Heinrich Kirchhoff mit der Bitte, ihm die Möglichkeit zu geben, sich in der Einsamkeit ganz auf die Kunst konzentrieren zu können.

↑ zur Übersicht

«Ich flamme tollst».
Kloster Eberbach. 1920

Heinrich Kirchhoff bietet Jacob einen zweijährigen Vertrag an, wie er ihn 1918 schon mit Conrad Felixmüller abgeschlossen hatte. 1966 erinnert sich Felixmüller an den Sammler: «… Seine Anteilnahme ging so weit, daß er sich durch Vorkaufsrecht, mit einem monatlichen Fixum verbunden, einen Teil meiner Arbeit für die nächsten Jahre sicherte … In jener Zeit erwarb Kirchhoff das Triptychon von Emil Nolde ‹Ägyptische Maria› … Kirchhoff erstand noch andere herrliche Dinge mit glücklicher Hand: das Selbstbildnis von Corinth mit seiner Geliebten im Arm, das Weinglas hebend … Ich war gerade bei ihm, als das große Bild von George Grosz ‹Panizza gewidmet› eintraf.

Den Sammler Kirchhof hatte eine leidenschaftliche, zu schnellen Entschlüssen bereite Lust an der neuen Malerei erfaßt. Dabei ging sein Wunsch immer wieder zu persönlichem Kontakt mit seinen Malern, keine größere Freude konnte man ihm machen, als mit Malereien in seinem Hause oder aus seinem Garten … In Wiesbaden ausgestellt zu werden, in der Sammlung Kirchhoffs zu hängen, war eine Empfehlung.»

Walter Müller-Wulckow beschreibt 1917 im «Kunstblatt» Bilder aus Kirchhoffs Sammlung, hebt wie Felixmüller Noldes «Maria Aegyptiaca» im Mittelpunkt des Expressionistensaals und Corinths «Selbstbildnis mit Modell» hervor, ferner nennt er Heckeis «Gläserner Tag» sowie Aquarelle, Radierungen und Holzschnitte von ihm, Weisgerbers «Venus nach Giorgione» und «Mann im Wald», Beckmanns «Hühnerdiebe», Arbeiten von Moll, Ophey, Ahlers-Hestermann, Marc, Kirchner, Pechstein, Lehmbruck, Scharff. Jacob konnte wahrscheinlich aber auch Werke von Campendonk, Chagall, Felixmüller, Jawlensky, Kandinsky, Klee, Kokoschka, Rohlfs sehen. Das Gästebuch Kirchhoffs liest sich wie ein Kapitel deutscher Kunstgeschichte; 1918 befi nden sich unter den Besuchern Hanna vom Rath, die von der Heydts, I. B. Neumann, Rosa Schapire, Georg Swarzenski, Bernhard Hoetger, Conrad Felixmüller, 1920: Prof. Dr. Georg Biermann, der Herausgeber des «Cicerone», Dr. Guido Bagier, der Herausgeber von «Feuer». Das Haus bildet bis 1933 ein geistiges und kulturelles Zentrum Wiesbadens. Kirchhoff, der schon ein Jahr später stirbt, bleibt es nicht erspart zu erleben, daß seine Sammlung der Moderne zur «entarteten» erklärt wird.

Wir alle, 1920„Wir alle“
Selbstbildnis mit Heinrich Kirchhoff und Familie sowie Walter Grünert im Kloster Eberbach. Zimmermannsbleistift auf festem chamoisfarbenen Bütten. 1920.
557 x 735 mm. Signiert, datiert (24. Nov. 20).
Am 26. September 1920 trägt sich Walter Jacob bei seinem ersten Besuch in Kirchhoffs Gästebuch ein. Wie Conrad Felixmüller malt auch er den Sammler mit seinen Angehörigen. «Familie Kirchhoff» und «Garten Kirchhoff» aus dem Wiesbadener Museum sind den früheren Bildern am verwandtesten. In den Briefen erwähnt er sie nicht, malt sie aber wahrscheinlich während der ersten Aufenthalte in Wiesbaden oder noch in Dresden. Kirchhoff vermittelt ihm Wohn- und Arbeitsraum im nahe gelegenen Kloster Eberbach. Noch heute beeindruckt die Abgeschiedenheit der zwischen Bergen, Wäldern und Weinhängen des Rheingaus gelegenen ältesten Zisterzienserabtei Deutschlands, gegründet im 12. Jh. von Bernhard von Clairvaux.

↑ zur Übersicht

«Natur, nur das ist Freiheit,
Weltalliebe ohne Ende» (Theodor Däubler)
1921 – 1928

In seinem ersten Brief an Heinrich Kirchhoff hatte Walter Jacob hervorgehoben, daß er sich seit einem halben Jahr bemühe, wieder aufs Land zu kommen, und zwar ans Meer. Die Großstadt sei das schrecklichste Gift für ihn. Vierzig Jahre später schreibt er an Grünert: «… Die starke Persönlichkeit mit letzter Verinnerlichung ist entscheidend!!! Angefangen von Leonardo, Giotto bis Rembrandt, Cézanne +sw. Bach, Beethoven. Sobald's Richtung wird ist's schon erledigt … Darum ging ich 1921 auf die Hallig Hooge: das war die Entscheidung für mein ganzes Schaffen!!!»

Anfang Januar 1921 dürfe er nur noch ein paar Tage «Judith» nicht verlassen, erklärt er dem Freund; Mitte des Monats, nachdem er das Bild vollendet hat, ist er bereits auf der Reise an die Nordsee.

Ein halbes Jahr lebt er mit der neuen Gefährtin, der Malerin Katja Fiedler, auf der Insel, in einer « … Urlandschaft!!! - Kein Weg!! Keine Bäume weit + breit … Im ganzen 20 Häuser sonst nur Gras, Tiere, Himmel + Meer Meer!!!»
Er zeichnet viel mit der Rohrfeder in Tusche. Von den mindestens elf Bildern, die er aufzählt, hat sich nicht eines erhalten. Einen Eindruck davon kann man allerdings aus dem Skizzenbuch mit den Entwürfen, das er an Grünert schickt, gewinnen. Es sind mit raschem, sicherem Strich hingeworfene lebensvolle Zeichnungen mit erläuterndem Text, die den Verlust ahnen lassen. Neben den Bildentwürfen enthält das Heft erotische Szenen, Selbstbildnisse und weibliche Akte.

Anfang Juni berichtet Jacob Walter Grünert, der Vertrag mit Kirchhoff sei gelöst. Offensichtlich gibt es Konflikte sowohl persönlicher als auch finanzieller Art. Der Künstler klagt über verspätete Geldsendungen, und wochenlang kann er Bilder nicht beenden, weil er keine Farben hat.

Am Ende des Monates beschreibt er Grünert das Bild «Meerfrau mit Kind», von dem er ihm auch ein Foto schickt, und kündigt seine baldige Abreise an:

«Beim MaIen dieses Mädchenleibes dachte ich immer an die Sonne, die Landschaft ist dunkel schwer Zinnober-feuernd.- Ach + wie leise Ahnungen sind diese Sachen alle erst von dem, was in mir lebt = tost = feuert + was ich noch zu schaffen habe!!! … ich reise mit Katja anfang Mitte Juli hier ab um dann sofort in die Alpen zu verschwinden!!! Bergriesen will ich … malen + diese Bergriesen mit dem Meer verbinden!!! Näher zur Sonne!!!»

Zu den wichtigsten künstlerischen Ergebnissen des Aufenthaltes auf der Nordseeinsel gehören acht Holzschnitte, die eine lose Folge bilden und vielleicht für eine Mappe vorgesehen waren. Sie sind kleinformatiger und in der Form gebändigter als die Blätter zum Garten Kirchhoff. Es gibt keine farbigen Varianten - dafür läßt er das Licht flirren. Jacob hat auf Pergamin gedruckt, das er manchmal auch zum Zeichnen verwendet, wahrscheinlich aus Papiermangel. Am bekanntesten ist «Wandernde Menschen» geworden; in «Meerfrau mit Kind» wiederholt er das gleichnamige Bild. Die «Windfrau» ist eine ländliche Schwester von Kokoschkas «Windbraut» - Jacob bettet die Geliebte in das Element, in die Natur, das ist für ihn das naheliegendste.

Im Juli schreibt er Grünert, er sei bis Ende des Monats in Weimar. Wahrscheinlich bereitet er dort seine Lithografie für die dritte Mappe der «Schaffenden» vor, die im Kiepenheuer Verlag erscheint - ein Porträt Grünerts in dichten, die Kopfform dynamisch umkreisenden Strichlagen. In einer anderen Lithografie, dem Will Grohmann gewidmeten Männerbildnis, geht die Umrißlinie der nervösen Feingliedrigkeit des Dargestellten nach. Es muß im August in Dresden entstanden sein, denn im September haben Walter Jacob und Katja die Stadt bereits wieder verlassen. Das sind die letzten Druckgrafiken in seinem Werk, die eigenständig neben den Bildern und Zeichnungen stehen. Seinen Briefen kann man entnehmen, daß er in den folgenden Jahren immer wieder bemüht ist, Holzschnitte oder Radierungen zu drucken, die Vorhaben jedoch an äußeren Umständen scheitern. Erst in den fünfziger Jahren schneidet er wieder gelegentlich in Holz, Neujahrsund Osterblätter entstehen, schöne, dichte Arbeiten darunter.

Die neue Adresse ist Lückendorf im Lausitzer Gebirge. Ende des Jahres, nachdem Jacobs erste Ehe geschieden wurde, heiratet er Katja. Der Künstler ist beteiligt an allen wichtigen Dresdner Ausstellungen. Die Beiträge in der Presse belegen die Anerkennung, die sein Werk genießt. Paul Ferdinand Schmidt stellt ihn und Eugen Hoffmann bei der Präsentation der Neuerwerbungen des Stadtmuseums zusammen mit Kokoschka aus. In der Hamburger Künstlerbund-Ausstellung hängen zwei Bilder von Hallig Hooge, und Sterl sagt ihm, «daß die ganze Persönlichkeit Jacob wuchtig wirke!». Walter Grünert hilft, Ausstellungen vorzubereiten und Verkäufe zu vermitteln, dennoch gerät Jacob «finanziell in schwerste Bedrängnis», schreibt er Ende Oktober aus Lückendorf. «Kokoschka sah meine neuen Arbeiten + bekundete mir seine Freude darüber + machte mir ein Geschenk, was mir auf einige Tage weiterhilft!»

Den folgenden Sommer verbringt er bereits im Kaisergebirge, in Oberaudorf. Im August zählt er Grünert 15 Bilder auf, die er während seines Aufenthaltes gemalt habe: darunter 11 Landschaften (u.a. «Bauernhaus mit rotem Dach», «Mein Haus», «Heuwagen»), ferner viele Zeichnungen und Aquarelle; drei Selbstbildnisse (darunter «Selbstbildnis in blauer Jacke») seien in Arbeit.

Er hofft, nachdem er sich «den ganzen Sommer mit Natur vollgesogen habe», «an Compositionen gehen zu können». In seinem letzten Brief aus Lückendorf schreibt er, daß er noch an dem «Engelkampf» von der Hallig Hooge male. Er trennt in Naturbilder und thematische Kompositionen. Dieses Problem erkennt Schmidt in seiner Rezension der Künstlervereinigungs-Ausstellung 1922: «Das Ungestüm seines persönlichen Erlebnisses wälzt Farbenmassen über die Leinwand, aus denen sich am reinsten der einfachste Naturklang hebt; getrübter äußert er sich stets, sobald Jacob an Vorgestelltes, an ‹Kompositionen› geht.»

Im September teilt der Künstler Grünert mit: «Kokoschka hat eine Zeichnung von mir gekauft + diese dem Kupferstichkabinett Dresden geschenkt!» Sie gehört zu Jacobs reicher Ernte des Sommers 1922, in dem er unter dem Eindruck der ihn umgebenden gewaltigen Alpenlandschaft begeistert malt und zeichnet und trotz aller äußeren Bedrängnisse wie selten wieder in Einklang mit sich, seiner Kunst und seiner Umgebung ist. Man spürt es in den Briefen, sieht es in den breit hingestrichenen, üppigen Sommerlandschaften.

Aus den Bergen organisiert er mit Grünerts Hilfe Ausstellungen und Verkäufe. Die Farbenpreise galoppieren ihm mit der Inflation davon. Im Januar hat der Kammerherr von der Gabelentz für das Lindenau-Museum von Grünert zwei Zeichnungen (ein Aquarell «Sonnenuntergang» und eine Federzeichnung «Hallig Hooge») für 300.- Mark gekauft, im Dezember kostet eine kleine Tube Farbe bereits das Zehnfache.

Er verbringt noch einen Winter in Oberaudorf, in dem die Vorbereitungen seiner großen Ausstellungen in der Galerie Arnold in Dresden, die im März 1923 eröffnet werden wird, und in der Galerie Thannhauser in München beginnen, und der angefüllt ist mit Arbeit: «Das Malen ist für mich ein großes Fest + in diesem großen funkelnden strahlenden Farbenfest lebe ich …», bedankt er sich bei Grünert für eine Farbensendung.

Anfang Mai sind Jacob und Katja auf Fehmarn, finden aber keine Wohnung und gehen nach Worpswede. Dort hilft ihnen der Bildhauer Bernhard Hoetger, eine Unterkunft zu finden. Er malt mit ihnen und porträtiert Jacob: «Hoetger hat gestern eine große Jacob-Büste gebaut!! ein tolles Ding!» Im Werkverzeichnis Hoetgers ist die Plastik nicht enthalten, immerhin ist erwiesen, daß er im Sommer 1923 zu malen beginnt, und vermutlich ist etwas von dem bei ihm bemerkten Einfluß Emil Noldes durch Jacob hindurchgegangen.

Die Inflation vereitelt einen längeren See-Aufenthalt. Am liebsten möchte Jacob den Winter in Altenburg verbringen, «die Dinge wieder malen, die ganz lebendig in mir sind, die meine ersten Modelle waren, ‹Pleißenbrücke› usw., da glaube ich jetzt genug aufgespeichert zu haben + mit den Dingen jetzt etwas anzufangen …». Es kommt nur zu kurzen Aufenthalten in Altenburg, in Dresden, wo Jacob mit Ludwig Gutbier über die Berliner Ausstellung verhandeln will, und in Kipsdorf im Erzgebirge. Im Oktober bereits melden sich Jacob und Katja überraschend aus der Schweiz, aus Appenzell im Santisgebiet, wo sie einen «Winter einsamstes Bergleben» verbringen und, eingeschneit, winterliche Berglandschaften malen. An die Altenburger Episode erinnert sich der Grafiksammler Heinrich Mock: «Ein kunstbegeisterter Rentamtsangestellter, Walter Grünert, vermittelte mir weitere Erwerbungen. Er konnte sich selbst eine Sammlung anlegen, weil er Künstlerfreunde betreute und deren Arbeiten bei wohlhabenden, kunstsinnigen Altenburger Familien verkaufte.

Als Provision erhielt er dann von den Künstlern einige Graphiken … In der wildesten Inflationszeit, Herbst 1923, wohnte Walter Jacob bei Grünerts, wo ich aus der Serie der Hallig-Hoog-Blätter zwei Aquarelle für 1 Billion erwarb. Außerdem schenkten mir der temperamentvolle Expressionist und seine Frau Katja weitere Arbeiten.»

Das Frühjahr 1924 verbringt Jacob noch in der Schweiz. Er arbeite seit vier Monaten an einer Komposition «Werbung» und habe Radierungen zum Druck gegeben. Im Juni ist er wieder in Dresden. Will Grohmann schreibt im «Cicerone» über die Sommerausstellung der Dresdner Künstlervereinigung:
«W. Jacob, F. Winkler setzen in eigener Weise das Erbe fort» und meint damit Sterl, Gußmann, Hettner, L. v. Hofmann. In der Tat hat sich Jacobs Malerei beruhigt; der Duktus bleibt expressiv, kraftvoll, doch sind die Bilder malerischer geworden. Die Farbflächen werden nicht mehr in stärksten Kontrasten nebeneinander gesetzt, sondern die Oberfläche lebendig durchgearbeitet, die Farben mischen sich. Das Selbstbildnis aus dem Jahre 1925 macht deutlich, welche Wende sich in seinem Werk vollzogen hat. Die (nicht belegte) Bekanntschaft mit Lovis Corinth, in jedem Falle mit seinen Bildern aus dem Spätwerk, verändert Jacobs Porträts. Sie büßen nichts von ihrer zupackenden Spannkraft ein, gewinnen jedoch an psychologischer Tiefe. Im Herbst 1925, nach einem Aufenthalt auf der Insel Rügen, geht Jacob nach Berlin, wegen eines Vertrages mit einem Berliner Kunsthändler. Nach einigen Monaten verläßt er mit finanzieller Hilfe Emil Noldes fluchtartig die Stadt.

Die Freundschaft zwischen Jacob und Grünert ist offenbar 1925 an Differenzen um Bildervermittlungen in die Brüche gegangen, so daß über einen längeren Zeitraum die zuverlässigen Briefzeugnisse fehlen. Ausstellungen in Dresden und Berlin sind bekannt, und die Artikel in Zeitschriften und Zeitungen vergegenwärtigen wiederum die hohen Erwartungen der Zeitgenossen in die Kunst Jacobs. 1926 erlebt Dresden mit der Internationalen Kunstausstellung noch einmal einen Höhepunkt, der nicht nur künstlerische Strömungen aus vielen Ländern zusammenfaßt, sondern auch der jungen Generation der Dresdner Künstler eine Chance gibt, sich zu präsentieren. «Die Anziehungskraft Dresdens für junge begabte Künstler besteht immer noch, nur daß sie nicht dableiben, wenn sie den Sprung in die große Welt verantworten können. Ohne aus ihnen mehr zu machen, als es gerechterweise möglich ist: das Niveau ist beachtlich, und es sind nicht bloß kleine Dixe. Felixmüller, Böckstiegel, Otto Lange, W. Jacob, B. Kretzschmar, W. Heckrott gehören ja nicht mehr zu den Unbekannten; aber Pol Cassel ist eine starke Hoffnung geworden, und von Griebel, Tröger, Lachnit und den Bildhauern Maskos, Born und E. Hoffmann ist manches zu erwarten», schreibt Will Grohmann darüber.

Im selben Jahr ist Jacob wieder in Oberaudorf. Aus dieser Zeit stammt «Kloster Reisach», die Ansicht eines in der Nähe, am Inn, gelegenen barocken Klosters der Karmeliten. Der Vergleich der beiden Kloster-Bilder von 1920 und 1926 zeigt, welch stilistische Beruhigung Jacobs Malerei inzwischen erfahren hat. Aber auch, wie intensiv seine Kunst geblieben ist. Das um 1926/27 entstandene, ungewöhnliche «Selbstbildnis mit Katja», in dem er sich selbst an den Rand stellt, und «Frau bei der Feldarbeit», um 1927/28, führen eine veränderte Malweise vor.

Die lockeren Binnenstrukturen werden jetzt durch festere Konturen eingefaßt.

Dieser Lebensabschnitt Jacobs endet 1928, nachdem er eine Reise nach Dalmatien abgebrochen hat und in die Alpen zurückgekehrt war. Sechs Jahre später schreibt er darüber: «In Kärnten (Mallwitz) am 8000mtr Tauerntunnel steige ich Nachts 2 Uhr aus dem Zuge + bleibe hier 1600mtr hoch in Bergeinsamkeit hängen! Mein glücklichster Lebensabschnitt! Sorglos + was ich arbeite vernichte ich! Nur ca. 5 Bilder bleiben von ca. 100 Bildern, Studien und Skizzen am Leben! -»

↑ zur Übersicht

«Zeit der Götter»
1929 – 1945

Das Jahr 1928 sei sein glücklichster Lebensabschnitt gewesen, schreibt Jacob 1934 an Grünert. Im selben Brief, eigentlich einem Lebenslauf, um den ihn Grünert in Vorbereitung der Ausstellung im Lindenau-Museum 1935 bittet, berichtet er weiter: «-November 1929 Fahrt nach München! Beginn der furchtbarsten 3 Jahre meines Lebens: vollkommener seelischer Zusammenbruch! Vollkommenes Negieren. Unglück auf Unglück. Not! Glaubens- Hoffnungslos!» Die knappe Schilderung der psychischen Krise läßt die Gründe offen. Wir wissen auch nicht, warum Jacob nach München geht - wider besseres Wissen, denn noch nie hat er vermocht, lange in einer Großstadt zu leben. Im Oktober bricht die Weltwirtschaftskrise aus, vielleicht hofft er einfach, in der reichen Kunststadt München Käufer für seine Werke zu finden und als Künstler überleben zu können.

1932 wird er Mitglied von SA und NSDAP. In seinem Artikel für den «Cicerone» hatte Hildebrand Gurlitt 1925 Ursachen für Jacobs Aufgehen im Soldatendasein im I. Weltkrieg benannt: «Als der Krieg kam, wurde er Soldat. ‹Es schien mir, als wäre ich plötzlich zu Hause oder bei Mutter›, sagte er davon, im Gegensatz zum Leben vorher.» Das Gefühl des Geborgenseins scheint auch jetzt eine Rolle zu spielen.

Die Überschrift für dieses Kapitel ist einer Filmcollage Lutz Dammbecks entlehnt, die das Verhältnis von Künstlern zum Faschismus untersucht. Er zitiert darin einen Filmbericht über Arno Breker aus dem Jahre 1942: «… Diesen leidenschaftlichen Drang zur Verkörperung des Subjektiven konnte nur ein Wandel im Weltanschaulichen zu der Form klären, die über dem einzelnen wieder das Allgemeingültige sieht. Das Empfindliche ist abgelöst durch Kraft. Das im funkelnden Licht Zerfließende durch Härte. Hier kommt zum Durchbruch, was das ganze Volk erschüttert, innerlich umbricht und neu schafft. Dieser Kopf erzählt nicht die Geschichte eines Einzelmenschen. Der spricht: Ich bin die geballte Manneskraft, ich bin der Grimm gegen das Feige, ich hasse den Feind meines Volkes, du müßtest sein wie ich.» Jacob identifiziert sich mit der mythischen und mystischen Ideologie des Dritten Reiches; Sehnsüchte seiner Jugend scheinen Wirklichkeit zu werden. Es geht ihm nicht um Konzessionen gegenüber der Macht oder gar darum, ihr näher zu kommen. Vielleicht spielt bei ihm auch die Verehrung für Emil Nolde eine Rolle, einen großen Künstler und frühes Parteimitglied, in dessen farbenglühenden Darstellungen der Naturgewalten ihn «dunkles Geheimnis, Spuk und Traum» (Günter Busch) faszinieren.
Die geschickte Argumentation und das Ausnutzen existentieller Ängste angesichts der wirtschaftlichen Misere in Deutschland tragen letztlich zum Wahlsieg der Nazis bei. Jacob, der seine Entscheidungen nicht aus intellektuellen Erwägungen trifft, sondern ganz intuitiv, fällt ihnen wie eine reife Frucht zu. Dieser Gesichtspunkt ist sicher ausschlaggebend, daß er nach dem Krieg als Mitläufer «entnazifiziert» wird, wie seine Angehörigen bezeugen.

Seine Kunst aus dieser Zeit läßt etwas von dem Gespaltensein der Persönlichkeit ahnen. Es gibt Zeichnungen und Aquarelle, die einerseits stärker dem Gegenstand verhaftet bleiben, andererseits weicher, lockerer in der Strich- und Pinselführung und zurückhaltender in der Farbigkeit sind. Wendet man die neuen Stilmerkmale als vergleichende Kriterien für die meist unbezeichneten Bilder an, dann handelt es sich bei der «Landschaft mit Vögeln» um ein wichtiges Beispiel jener Jahre. Aber auch, wenn man ohne jede Spekulation allein die wenigen datierten Landschaften ins Verhältnis zur Kunst vieler seiner Zeitgenossen setzte, würde ihm das zur Ehre gereichen - wären da nicht die kämpferischen Porträts der SA- Männer und die später auf Wände von Garnisons-Casinos gemalten Kriegsszenen im Helden-Stil von Elk Eber. Im Russenkittel läßt er sich davor fotografieren. Diese Naivität macht ratlos.
Zwischen den beiden einander eigentlich ausschließenden Polen seines Werkes aus den dreißiger und vierziger Jahren stehen zwei Selbstporträts von 1936. Auch auf sie trifft zu, was Walter Grünert vorsichtig zu bedenken gibt, als er Jacob, der 1935 das Bild «Inntal» zum Ankauf an das Lindenau-Museum schickt, antwortet, er müsse sich erst «an die flache Malart gewöhnen». Es wäre jedoch zu einfach, sie mit dem Etikett Nazi-Kunst zu versehen. Sie sind von demselben Naturalismus geprägt, dem sich jetzt viele Maler nicht versagen. Die seinem Wesen eigene Pathetik drückt sich im Unterschied zu den früheren Bildern nicht im Duktus der Malerei aus, die jetzt von seltsamer Farblosigkeit ist, sondern in der Haltung der Figuren. Diese Selbstbildnisse führen Ansätze einer künstlerischen Entwicklung fort, die auf dem Foto nach einer verlorenen Aktdarstellung erkennbar wird, das mit der Jahreszahl 1932 versehen ist. Wie auf dem Doppelbildnis «Selbst mit Katja» hat sich der Maler am Bildrand dargestellt. Der Umstand, daß der Vergleich nur für seine eigene Gestalt geiten kann, läßt ebenfalls Schlußfolgerungen zu, welcher Zerreißprobe seine Kunst ausgesetzt ist. Für die weibliche Figur findet er mit klaren, großzügigen Umrißlinien eine sinnlich-lebendige Formensprache fernab der verklemmtschwülstigen Erotik gefeierter Nazimaler. Stilistisch ist der «Pierrot» den Akten verwandt, eine traurige und schöne Kunstfigur, die, wie so oft bei Jacob, letztlich schwerer wiegt als seine schriftlichen Äußerungen.

1933 ist Jacob vertreten in der Dresdner Ausstellung «Spiegelbilder des Verfalls in der Kunst», in der, wie in Chemnitz, Karlsruhe, Mannheim, Nürnberg, Stuttgart Kunstwerke der Moderne (und Museumsdirektoren, die sie sammelten) angeprangert werden. Drei Jahre später wird diese Schau in München im Rahmen einer «Antikomintern»-Ausstellung wiederholt oder in ähnlicher Zusammenstellung präsentiert. Wie dem in der Biografie zitierten Telegramm, die Ausstellung «Entartete Kunst» in München betreffend, zu entnehmen ist, werden wiederum Werke Jacobs gezeigt.

1937 gelingt es ihm oder seiner couragierten Frau dann, kurz vor der Eröffnung die vorgesehene Arbeit entfernen zu lassen. Ein verständliches Bemühen, ging mit der Beteiligung an den Ausstellungen «Entarteter Kunst» doch häufig der Ausschluß aus der «Reichskammer der bildenden Künste» einher, womit den Künstlern die Arbeitsgrundlage entzogen wurde.

Seine Werke aus dem Stadtmuseum und der Gemäldegalerie in Dresden sowie dem Altenburger Lindenau-Museum werden als entartet eingestuft und entfernt. Die AItenburger kommen mit diesem Ansinnen sicher in Verlegenheit, denn außer einigen gerade erfolgten Schenkungen (u.a. von Eduard Plietzsch) und noch weniger neueren Erwerbungen (durch den Museumsleiter Heinrich Mock, seit 1934 im Amt und 1937 bereits wieder entlassen) gibt es kaum etwas auszusondern. Von Walter Jacob stehen die beiden 1922 angekauften Zeichnungen auf der Liste, auch das erst 1935 für 200.- RM ins Museum gelangte «Inntal». Ebenso trennt man sich von einer dem Museum geschenkten Darstellung des «Grabmals B. A. von Lindenaus», des Museumsgründers. In der Münchner Städtischen Galerie im Lenbachhaus teilt Walter Jacobs 1933 in den Bestand gelangte« Kochelseelandschaft» das Schicksal vieler Bilder: Sie wird aus dem Inventar gestrichen, verbleibt aber im Depot. Über diese Entscheidung werden die Künstler wahrscheinlich nicht einmal informiert. Lediglich die zur Ausstellung «Entartete Kunst» angeforderten Bilder verlassen das Haus.

Im Juni 1934 zeigt die Dresdner Galerie Arnold Handzeichnungen Jacobs aus den Jahren 1932 bis 1934 - Landschaften vom Chiemsee und aus dem Hochgebirge, Figurenstudien, Porträts und Selbstporträts, Tierstudien aus dem Zoologischen Garten. Diese Ausstellung übernimmt der Altenburger Kunstverein in einer Auswahl. Sie wird am 6.1.1935 im Erdgeschoß des Lindenau-Museums, in den Räumen der ehemaligen Museumsschule, eröffnet. Gleichzeitig wird, neben Kohrener Töpferwaren und Leutenberger Handwebereien, die zuvor in Jena, Eisenach und der Galerie Kühl in Dresden präsentierte Wanderausstellung «Gabriele Münter - aus 25 Schaffensjahren» gezeigt. Die rund 40 Ölgemälde der Künstlerin stoßen in AItenburg auf wenig Verständnis. Die Doppeleröffnung wird von Walter Grünert, der zum Werk Walter Jacobs spricht, und Dr. Johannes Eichner bestritten. Eichner wirbt um Anerkennung der Kunst Gabriele Münters, doch haben die Rezensenten die Zeichen der Zeit schon verstanden und distanzieren sich von den früheren Arbeiten. Vielleicht erscheint es Eichner, der die Künstlerin beriet, nach dem mäßigen Erfolg ihrer Wanderausstellung ratsam (auch in politischer Hinsicht), die Müntersche Übersicht mit aktuellen Arbeiten Walter Jacobs zu verbinden künstlerisch kommt es gewiß beiden nicht entgegen.

Beide Künstler nehmen nicht an der Eröffnung teil. Für Walter Jacob, der 1934 nach seiner 1929 erfolgten Trennung von Katja die Österreicherin Charlotte Brünner geheiratet hat, gibt es offenbar einen ganz familiären Grund: Am 13.1. wird seine erste Tochter Michaela geboren.

1937 zieht er in das ehemalige Malerdorf Dachau bei München. Eine datierte Sommerlandschaft hat sich aus diesem Jahr erhalten, die als Rückseite eines späteren Kinderbildnisses lange nicht beachtet wurde. Dieses Gemälde, wie auch einige Landschaften aus den frühen vierziger Jahren, bezeugen, daß es neben den meist im Auftrag entstandenen propagandistischen Bildern und Zeichnungen eine durchgehende künstlerische Entwicklung gibt.

1942 stellt ihm ein Freund in Schwallenbach bei Spitz an der Donau ein Atelier zur Verfügung. Sein hier und in Dachau entstandenes Werk ist durch die Kriegswirren weitestgehend verloren. Jacob wird 1945 aus Österreich ausgewiesen und zieht mit seiner Familie nach Hindelang im Allgäu.

↑ zur Übersicht

«Innerlichkeit + Verdichtung»
1945 – 1964

Die Nachkriegszeit bedeutet in Jacobs Kunst einen Neubeginn. In Zeichnungen wie «Der schwarze Engel» und «Die Vision», in Bildern wie «Turm des Elends» und «Die Gehetzten» reflektiert er die Vergangenheit. Die Suche nach einer gültigen Form für diesen Prozeß hat er mit vielen deutschen Malern nach dem Kriege gemeinsam. Er übermalt die Bilder wieder und wieder. Den dramatisch bewegten Szenen entspricht das erregte Helldunkel und die vertikale Türmung der Figurengruppen. Dennoch haben die Bilder etwas Aufgesetztes. Sie reichen nicht an die Intensität der Eberbacher thematischen Darstellungen heran. Vielleicht hat er nicht genug Abstand gewinnen können, war die Zeit zu kurz, um das Erlebte zu verarbeiten. Überzeugend wirkt dagegen das «Selbstbildnis» aus dem Jahre 1948, ein mit breitem Pinsel energisch hingestrichener Kopf, in dem er wieder die Kraft für eine Selbstbefragung findet.
1950 zeichnet er in loser Folge und in verschiedenen Techniken Blätter zum «Verlorenen Sohn». Seit seiner frühesten Jugend verehrt er Rembrandt. Aus Eberbach schickt er Grünert eine Briefskizze nach einem der späten Selbstbildnisse des Holländers, das für ihn den Inbegriff künstlerischer Kraft trotz äußerer Bedrängnis darstellt. Jetzt setzt er sich, ohne es zu benennen, mit einem der großartigsten Kunstwerke auseinander, einem Gleichnis auch von Schuld und Vergebung. Verschiedene Szenen der biblischen Legende wählt er aus. Am häufigsten zeichnet er «Heimkehr» und «Bei den Dirnen». Bei dem «Reiter» könnte es sich um einen HI. Martin handeln. Es sind «Märchengestalten», die, nach Hermann Glaser, dazu verhalfen, «die Bilder des Leidens, der Ratlosigkeit, des Todes mit den Vorstellungen von Wunder, Errettung, Erlösung auf ‹wundersame› Weise zu verschränken und damit aktuelles Geschehen ins Zeitlose zu entrücken».

Den Übergang zu dieser Folge bildet eine ebenfalls großformatige, schöne, geschlossene Zeichnung dreier Frauen, die Werken Karl Hofers verwandt ist. Dessen Name steht zu jener Zeit für die heftigen Kontroversen zwischen den «realistisch» arbeitenden Künstlern einerseits und andererseits jenen, die, voran Willi Baumeister, die abstrakte Kunst als eine «Bewußtseinserweiterung» begreifen.
«Angesichts der Erschütterungen aller Lebensbedingungen hebt sich trotz allem ein vorsichtiges Periskop aus den verschütteten Kellern des Geistes durch den Druck angesammelter, gestauter Ungeduld», schreibt Baumeister im Vorwort seines theoretischen Werkes «Das Unbekannte in der Kunst».

In diesem Manifest der abstrakten Malerei bezeichnet er das Unbekannte als jenen zentralen magischen Wert, durch den die «Eigenkräfte der künstlerischen Ausdrucksmittel», die autonome Bildwelt, zum Leben erweckt werden. Seine künstlerischen Arbeiten dieser Jahre zeichnet eine freie Form aus, in der Organisches anklingt.

Jacob leidet unter dem Primat der Abstrakten, bleibt intolerant und unversöhnlich, wie die Debatte von allen sich betroffen Fühlenden bis heute geführt wird. Noch 1962 schreibt er: «Seit Jahrzehnten mache ich mit aller Kraft Front gegen die sich so breit machende Abstraktasphaltbahn!!!» Und nach einer Rede Oskar Kokoschkas, die er im Radio hört, schreibt er diesem spontan einen Brief. Kokoschka antwortet 1960: «Ich sah mit großem Vergnügen Ihre Photos von den Bildern, die Sie jetzt machen. Man sieht daraus, welche Freude Sie am Leben haben und wie sicher und kräftig Sie zupacken. Die armen Maler in Deutschland, die auf Geheiß von einigen Kunsttheoretikern, die eigentlich bloß unfähig für ihren eigentlichen journalistischen Beruf waren und darum sich der ‹modernen› Kunst annehmen, nun den Kopf in den Sand stecken und ‹gegenstandslos› ins Leben sehen müssen!!»

Die «Lust, Formen entstehen zu lassen» (Baumeister), jedoch ist ihm nahe, und manche seiner Landschaften, die sich vom Gegenstand entfernen, ohne ihn je zu verlassen, nennt er «Abstraktion». Der Gebrauch des Wortes durch Jacob zeugt sowohl von Verunsicherung als auch von selbstbewußtem Aufbegehren.

Die Töchter Friederike und Michaela, 1948
Zu den frühesten Nachkriegsarbeiten gehören Zeichnungen, die er in Konzerten der Pianistin Elly Ney anfertigt. Sie gastiert im Allgäu mit den Bamberger Symphonikern. In beiden Teilen Deutschlands setzt man in die Kultur große Hoffnungen bei der demokratischen Erneuerung des Landes. So finden die Gastspiele der Ney, die auf Bitten zusätzliche Konzerte in die Tournee einschiebt, und der sie im AlIgäu begleitende Maler in der Presse starke Beachtung. Aus dem Jahre 1947 gibt es die ersten Hinweise, daß sich Walter Jacob auf regionalen Kunstausstellungen mit größeren Kollektionen beteiligt, eine Kette von Expositionen, die bis zu seinem Tode nicht abreißen wird. Neben den Bildern präsentiert er regelmäßig auch Zeichnungen aus seiner privaten Sphäre: «Jacobs holen Holz», eine der wichtigsten Verrichtungen für die Wintermonate, ferner Akte, Porträts der Frau, der Töchter.

Für die Voralpenlandschaft, in der er lebt, findet Jacob großzügige klare Formen und Farben. Unter dem Eindruck dieser Natur mit ihren Bergen, Seen und Wiesen kann er an die Landschaften seines Frühwerks anknüpfen. Besonders die Zeichnungen und Aquarelle führen beste expressionistische Tradition fort und lassen sich mit dem Spätwerk der «Brücke»-Künstler vergleichen. Die «Abstraktionen» stellen meist Berggipfel in Mondnächten oder bei Föhn dar - hier denkt man besonders an Nolde, nicht nur wegen der glühenden Rot-, Blau- und Gelbtöne, vielmehr wegen der Mythen heraufbeschwörenden Stimmung. In den Zeichnungen zu den «Bergdämonen» wird er diese Gefühlswelt illustrieren. Ohne jede Ironie trifft auf ihn, den impulsiven Maler, zu, was Hermann Glaser an der Nachkriegskunst beobachtete: «Auch das Walten der ‹freien Natur› wurde zur erlösenden Metapher; über alles wuchs Gras.»
1952 beteiligt er sich mit dem Bild «Der Schweißer» an der Düsseldorfer Ausstellung «Eisen und Stahl». Viele Zeichnungen in verschiedenen Techniken begleiten das Gemälde.

Das Motiv bleibt ein Einzelfall im Oeuvre, sieht an von frühen Arbeitsdarstellungen ab, die aber immer einen Bezug zur Natur hatten.
Für Jacob ist diese Ausstellung von Belang: nicht nur, weil er endlich an einem überregionalen Vorhaben teilnimmt, sondern weil sie einen Vergleich ermöglicht. Er fährt nach Düsseldorf, bleibt einen ganzen Tag in der Ausstellung und gewinnt Zuversicht für seine Kunst - er will an der «Innerlichkeit + Verdichtung» seiner Arbeiten festhalten, aber freier werden. Er trifft Hildebrand Gurlitt mit seiner Frau, einer ehemaligen Mary-Wigman-Schülerin. Diese Begegnung und die gemeinsamen Dresdner Erinnerungen bedeuten ihm viel und bestätigen wiederum die Rolle, die Jacob um 1920 in der sächsischen Metropole gespielt hat. Er sieht in Düsseldorf eine Ausstellung des Dresdners Josef Hegenbarth, im Kunstmuseum Bilder von Renoir, van Gogh, Corinth, Rembrandt, eine Léger-Ausstellung im Kunstverein und Grafik von Picasso und Braque. Zuguterletzt ergibt sich noch eine eigene Schau in einer Buchhandlung. - Es ist dasselbe Dilemma wie in der Vergangenheit: Wie jeder Künstler braucht Jacob den Gedankenaustausch, andererseits zieht es ihn in die Berge zurück.

Er lebt in Hindelang in Geldnot und nimmt deshalb kleinere Portätaufträge an, bei denen er gezwungen ist, auf die Vorstellungen der Auftraggeber einzugehen. Manchmal dringen diese Konzessionen auch in die Selbstbildnisse und die Porträts der Familie ein. Im Gasthaus «Sonne» stehen ihm Werbeflächen zur Verfügung, die während der Saison Kurgäste auf seine Arbeiten aufmerksam machen. Dort erhält er, als Gegenwert für Bilder und Zeichnungen, auch freie Kost. Seinen Arbeiten der fünfziger Jahre, zu denen so malerische und farbig intensive Bilder wie die Berg-Abstraktionen, «Alter Baum», «Pitzi mit Katze», «Rotspitz» - ein Berg, den er aus seinem Fenster sehen kann, - gehören, merkt man die existentiellen Sorgen nur selten an.

1955 setzt die Folge «Bergdämonen» ein, für die er Formenelemente der Franzosen, besonders aber Picassos, übernimmt; noch wichtiger ist vielleicht, daß der Umgang des Spaniers mit Ikonographischem Jacob den Weg weist, ihn Berührendes frei zu verarbeiten. Titel wie «König», «Tanz», «Überfahrt», «Satan», «Die Geißel», «Die Stürzenden» lassen auf den ersten Blick Legenden der Berge lebendig werden. Doch nehmen die Blätter schon die Todesahnungen vorweg, die die Malerei der großen Bilder prägen wird.

Ausstellung in der Pariser Galerie André Maurice
1956 findet in der Galerie Andre Maurice am Boulevard Haussmann in Paris eine repräsentative Übersicht seines Schaffens statt, wohl seine größte Ausstellung überhaupt und offensichtlich eine der ersten, die einem deutschen Künstler in Paris gewidmet wird. Die «Weltkunst» berichtet, daß 200 Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle gezeigt werden. In der französischen Presse erhält die Schau gute Kritiken. Im Folgejahr ist er an einer internationalen Ausstellung des «Salon de l‘Art libre» in Paris beteiligt.

1958 nimmt seine Frau Charlotte eine Tätigkeit als Privatsekretärin des Markgrafen von Baden auf. Seit dieser Zeit verfügen wir durch die erhaltenen Briefe wieder über einen Einblick in seine Arbeit, in seinen Tagesablauf, seine musikalischen Vorlieben. Auf die Frage Charlottes, welche Farbenwünsche er habe, antwortet er: «Decorationsölfarben - Zinkweiß, Kobaltblau, Cölinblau, Chromoxydgrün feurig, Zinnobergrün dunkel, Krapplack dunkel, Kadmiumgelb hell, Preußisch oder Pariser Blau, Ultramarinblau dunkel, Elfenbeinschwarz, Zinnober hell, Umbra gebrannt.»

Diese Töne begleiten seit der Frühzeit besonders die thematischen Darstellungen, und er setzt sie konzentriert ein in den letzten großen Bildern. An Grünert, mit dem er seit 1958 wieder in Kontakt steht, schreibt er im November dieses Jahres: «Mit ‹Die Nacht› schlittere ich in eine weitere Phase in meiner Arbeit: hellste strahlende Farbe. Klarste Form und äußerste Einschränkung der Mittel!!!.-» Und: daß er seit zehn Jahren leidenschaftlich gern nachts arbeite, im «Allraum aufgehend». Dieser Satz trifft das Wesen der Bilder - Jacob komponiert wieder. Er malt nicht vor der Natur, aus dem direkten Erleben heraus. In die Bilderfindungen der Spätzeit fließen sowohl dunkle Ängste und Phantasien als auch das Pathos der Frühzeit ein. Noch immer und häufig verwendet er das Wort «Kampf» - im Sinne von Lebenskampf, von Kampf um Freiräume für seine Kunst, um neue Ausdrucksmöglichkeiten.

Im Januar 1959 kauft er Rupfen für «Die Barke», einige Tage später schafft er Platz, «da ich mit der ‹Barke› die ‹Nacht› noch weiter treiben will + muß!! Herrlichst!!! Hätte ich doch einen Raum, wo ich kilometergroße Bilder mit Leitern + Motorrollern malen könnte: an Großformaten lebe ich mich aus!!! …» Und nach weiteren zehn Tagen: « ‹Die Nacht› ist beendet + ich glaube, das Bild ist mein stärkstes + schönstes!! Es ist absolute Malerei geworden und völlig klar!! … Die ‹Barke› hat mir dabei ungeheuer geholfen: zu Herbheit, Kraft + Größe!!! … Es hat sich immer wieder erwiesen, wenn man an 2-3 Bildern zu gleicher Zeit arbeitet, wird der Blick wieder frisch + dann treibt das eine das andere weiter! - …»

1960 und 1961 entstehen zwei weitere dieser Bilder: «Die Stürzenden» und «Der Bergkönig».

1962 wird die Ehe, die wohl der langen Trennung nicht standgehalten hat, geschieden. Er bewahrt zu seiner Frau ein inniges freundschaftliches Verhältnis. Die letzte Gefährtin ist Elisabeth Werner, eine Künstlerin aus Hindelang, eine seiner Schülerinnen. Er ist bemüht, den sich häufenden Krankheitszeichen durch seine Kunst zu widerstehen, aber schon in Zeichnungen wie «Elegie», 1959, oder dem Gemälde «Selbst mit gelbem Pullover», 1962, ist zu spüren, daß er mit Depressionen kämpft.

1964 malt er sein letztes Bild; «Dein Wille geschehe» ist der überlieferte Titel. Ein dornengekrönter Christus, dessen heller Körper sich aus dem Dunkel löst und sich dennoch der Beschreibung entzieht.

↑ zur Übersicht